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Re: Eindeutschung (was: Jobs @ Debian)



On Tue, Apr 10, 2001 at 11:12:32AM +0200, Bernd Brodesser wrote:

> Siehe Computer vs. Rechner. In der IT-Branche, als sie noch EDV hieß
> war es immer üblich von Rechner zu reden. Computer kam erst mit dem
> PC und DOS bzw. Windows groß raus. Im übrigen ist das Wort kein
> Englisch, sondern Latein.

Naja, das muss sich ja nicht ausschliessen. Etymologisch ist es
lateinischen Ursprungs, waehrend die Phonetik eindeutig englischer
Herkunft ist.

> Fremdwörter haben doch nur in der anderen Sprache eine besondere
> fachspezifische Bedeutung.

Genau. Und exakt aus diesem Grund ist es sinnvoll, Fremdworte in eine
Sprache zu importieren. Man bekommt auf diese Weise einen neuen (neu
definierbaren) Begriff, der kontextunabhaengig genau das bezeichnet,
was fachlich gemeint ist. Sobald man die neue Definition einmal
verstanden hat, hat das nur noch Vorteile.

> Man kann z.B von directory oder aber von Verzeichnis reden. Wenn ich
> Verzeichnis sage, so ist doch meist klar, was gemeint ist und keiner
> kommt auf die Idee, ich würde ein Warenverzeichnis oder was weiß ich
> meinen. Ergo ist das Wort Verzeichnis genauso gut wie directory und
> imho daher vorzuziehen.

IMHO ist es umgekehrt. Wie "Rechner" und "Computer" sind auch "directory"
und "Verzeichnis" in vielen Faellen ohne Sinnentstellung oder -verlust
austauschbar. Aber ich finde es angenehmer und fuer das Verstaendnis
einfacher, wenn ich zum Verstaendnis der Bedeutung der Worte, die ich,
lese, nicht auf den Kontext angewiesen bin.

> Was aber ist an Fluchtsymbol mißverständlich? Für einen unbedarften
> Leser ist das deutsche wie das englische Wort erst einmal völlig
> unverständlich. Will sagen, die englische Granny kann mit dem Wort
> Escape Sequenz genausowenig anfangen wie die deutsche Omi mit dem
> Wort Fluchtsymbol. Es ist somit ein Termus Technicus.

Naja, leider haben aber nur wenige Leute eine so disziplinierte und
kritische Art, Texte zu lesen. Die Mehrheit versucht, sich aus dem
Kontext und aufgrund des Allgemeinwissens Erklaerungen fuer unbekannte
Worte zusammenzureimen. Wenn man dabei einmal irgendeine Erklaerung,
die einem halbwegs befriedigend und einleuchtend erschien,
herbeikonstruiert hat, laeuft man Gefahr, lange Zeit mit einem solchen
ueber diverse Holzwege erreichten Verstaendnis im Kopf herumzulaufen.

Mit anderen Worten, man entwickelt sich zu einem DAU mit Halbwissen,
und die sind ja bekanntlich die schlimmste Sorte user ueberhaupt.
Der mittlerweile verbreitete Glaube, die Taste, auf der "Strg" steht,
sei die "String-Taste", gehoert noch zu den harmlosesten Beispielen fuer
die Entstehung derartigen Halbwissens.

Mit solchen Eindeutschungen tut man daher letztlich niemandem einen
Gefallen, am allerwenigsten den Leuten, denen man das Verstaendnis
erleichtern will. Denn Halbwissen hat nun mal die Tragfaehigkeit von
Morast, und nichts ist frustrierender als zunaechst zu glauben, man habe
etwas verstanden, und dann festzustellen, dass das vermeintliche Wissen
aber nicht traegt.

Als Richtlinie sollte also betrachtet werden: Wenn ein Sachverhalt zu
bezeichnen ist, fuer den es keinen Begriff gibt, empfiehlt sich der
Import eines "Fremdworts" um diesen neuen Sachverhalt zu bezeichnen.
Wenn dem Leser der Sachverhalt (z.B. eine queue) nicht bekannt ist,
ist ihm mit der Verwendung eines scheinbar vertrauten Worts (wie
z.B. "Warteschlange") nicht gedient, sondern er wird eher verwirrt.

Anhand dieses Kriteriums kann man den sinnvollen Einsatz von Fremdworten
als Fachbegriffen von unsinnigem Fachchinesisch m.E. objektiv
unterscheiden.

Greetinx, Jan
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