Re: Eigene Vokabelhefte sollen fremdem Monopol unterliegen?
Am 16.12.2005 um 16:26 schrieb RalfGesellensetter
kannst du vielleicht auf der Liste aus deiner Sicht was zum Thema
sagen, ...
Manche Fragen sollte man nicht stellen. Hier hast Du die Antwort:
Grundsätzlich sind zwei Fälle zu unterscheiden.
I. Werkschutz aufgrund schöpferischer Leistung
Ob Vokabellisten in Lehrbüchern dem Werkschutz nach § 2 UrhG
unterfallen, hängt davon ab, ob die Auswahl der Vokabeln individuelle
Züge in der
(1) Konzeption der Informationsauswahl oder
(2) Konzeption der Informationsvermittlung oder
(3) Art und Weise der Anordnung des Materials oder
(4) Einteilung des Materials oder
(5) Anordnung des Materials
erkennen lassen (BGH GRUR 1987 S. 704, 706: LG Berlin AfP 1994 S. 62,
63). Ein bescheidenes Maß an Individualität reicht dabei aus.
Mit der Übertragung von Vokabeln in eine EDV-Liste kann ein Teil
jener Individualität verloren gehen, so dass der Urheberrechtschutz
erlischt.
(Damit ist nicht die schlichte Digitalisierung von Buchseiten
gemeint, die an einem bestehenden Urheberrecht nichts zu ändern vermag.)
Beispiel:
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Beruht der Werkschutz ausschließlich darauf, dass die Vokabeln in
einer originellen, wortinhaltsbezogenen Reihenfolge angeordnet sind,
während sie ansonsten unauffällig bleibt, kann die Übernahme in eine
alphabetisch geordnete EDV-Liste den Schutz hinfällig machen.
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Durch die Vermischung mit anderen Vokabellisten kann das Urheberrecht
ebenfalls verloren gehen. Sollten jedoch die früheren Vokabellisten
aufgrund bzw. in ihrer ursprünglichen Individualität wahrnehmbar
bleiben, entsteht eine sog. Bearbeitung, deren Veröffentlichung der
Zustimmung der ursprünglichen Urheber bedarf.
Enthält ein Lehrbuch mehrere Vokabellisten, die nach den genannten
Kriterien einzeln als urheberrechtsgeschützt einzuordnen sind, kann
ihre Verbindung/Vermischung im Regelfall am bestehenden Schutz nichts
ändern. Der Schutz kann fortfallen, falls das Ergebnis der Verbindung/
Vermischung die jeweiligen individuellen Züge der einzelnen Teile
unkenntlich macht.
Beispiel:
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Ein Buch vermittelt Vokabeln, die durchweg für spezielle
Gesprächssituationen von Arbeitgebern zusammengestellt worden sind:
'Wie führe ich Personalgespräche auf Englisch?'. Die einzelnen
Kapitel behandeln Themen wie Einstellung, Beförderung, Versetzung,
Gehaltsregelung, Kündigung, Zeugnis. Jedes Kapitel enthält eine
kleine Vokabelliste. Die Vermischung aller Vokabeln in einer Liste
läßt immer noch individuelle Züge erkennen, weil (1) schon die Teil-
Listen eine individuelle Auswahl darstellen und (2) die
themenbezogene Auswahl für Personalgespräche erhalten bleibt. Damit
ist auch die Gesamtliste urheberrechtsgeschützt.
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Ein genereller Rechtssatz, die Verbindung einzelner Vokabellisten in
eine Gesamt-Liste lasse den Urheberrechtschutz untergehen, läßt sich
nicht aufstellen.
Auf die Frage, ob alle Listen eines Lehrbuches oder nur 5 Kapitel
gemischt werden, kommt es nicht an.
Je mehr zufällig eingestreute Vokabeln oder inhaltlich nicht
zusammenpassende Teillisten verbunden werden, um so eher entfällt der
Schutz (aber damit möglicherweise auch die pädagogische Zielsetzung).
Die Schutzdauer von Vokabellisten, wären sie denn nach den anfangs
geschilderten Kriterien geschützt, beträgt laut § 64 UrhG siebzig
Jahre seit dem Tode des Urhebers.
II. Datenbank
Eine Zusammenstellung von Daten (sprich Vokabeln) kann dem sog.
Leistungschutzrecht nach § 87a UrhG unterfallen, falls ihre
Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung eine nach Art und Umfang
wesentliche Investition erfordert.
Abgestellt wird auf die Kosten des Herstellungsprozesses, während es
im vorigen Abschnitt nur auf den schöpferischen Gehalt des
Ergebnisses ankam.
Solche Datenbanken dürfen ohne Zustimmung des Rechtsinhabers weder
insgesamt, noch in wesentlichen Teilen veröffentlicht werden.
Ob solche Datenbanken als Teil in eine größere Datenbank einfliessen,
bleibt ohne Belang. Die Vermischung solcherart geschützter
Vokabellisten mit anderen Vokabellisten ändert nichts am Rechtsschutz.
Es würde ebenfalls keine Rolle spielen, ob alle oder nur manche
Vokabellisten eines Buches kombiniert werden. Ebenso bliebe es egal,
ob die Vokabellisten verschiedenen Büchern entspringen.
Wann eine Investition vorliegt, die als wesentlich im Sinne des
Gesetzes anzusehen ist und den Schutz des § 87 a UrhG auslöst, hat
der Gesetzgeber offen gelassen.
Bei der Zusammenstellung von Vokabellisten aus gängigen Fremdsprachen
wird man selten wesentliche Investitionen annehmen können, es sei
denn, es lägen außergewöhnliche Umstände vor.
Beispiel:
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Ein Lehrbuch enthält vorwiegend Vokabeln, die der aktuellen
Umgangssprache algerisch-stämmiger Jugendlicher aus den Vororten rund
um Paris entstammen. Um diese Vokabeln zu sammeln und in ihrer
jeweiligen Bedeutung richtig zu erfassen, sind aufwendige
Felduntersuchungen notwendig. Deshalb entsteht für diese Vokabelliste
ein Schutz nach § 87a UrhG. (Und in diesem speziellen Beispiel
gleichzeitig nach § 2 UrhG, weil eine deutlich erkennbare inhaltliche
Wortauswahl existiert.)
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Die Schutzdauer für Datenbanken beträgt fünfzehn Jahre.
Zur Klarstellung: Datenbanken im Sinne des Gesetzes müssen nicht
zwingend EDV-Datenbanken sein. Die Listung z.B. innerhalb eines
Lehrbuches steht der rechtlichen Einordnung als Datenbank im Sinne
des § 87a UrhG nicht entgegen.
Und noch zur Abrundung: Der Jurist unterscheidet zwischen
'Datenbanken' und 'Datenbankwerken'. Erstere unterfallen § 87a UrhG,
letztere § 2 UrhG. Man kann den Unterschied leicht übersehen, wenn
man juristische Texte durchstöbert.
III. Die Praxis
In der Praxis muß der Anspruchssteller nachweisen können, dass er der
wirkliche Urheber der umstrittenen Vokabelliste ist.
Je mehr ähnliche Vokabellisten von verschiedenen Seiten veröffentlich
worden sind, umso leichter kann seine Behauptung in Frage gestellt
werden.
Diese Erkenntnis kann das praktische Vorgehen bestimmen.
Sollte beispielsweise der übereinstimmende Durchschnitt von
Vokabellisten mehrerer Verfasser veröffentlich werden, sinkt das
rechtliche Risiko.
Je älter und je schwerer zugänglich das Referenzwerk ist, dass man
als Ausgangsgrundlage heran zieht, umso geringer fallen die Chancen
eines Anspruchsstellers aus.
Ich hoffe, mit diesen dürren Worten zur allgemeinen Verwirrung über
die geltende Rechtslage beigetragen zu haben.
pv
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