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Re: [OT] Sprachentwicklung



Auch als PM wie vom Vorautor gewünscht

Am Dienstag, 4. April 2006 13:50 schrieb Gerhard Wolfstieg:

> Einspruch, nein! Zwei Sachen vorweg, bevor ich mich hier nicht mehr
> dazu äußere (höchsten noch als PM): wall und Wall haben den gleich
> Ursprung im Lateinischen. Ein endgültiges Urteil akzteptiere ich
> von einem Schriftsteller und Dichter, nicht von einem
> Wissenschaftler und wissenschaftlichen Erzeugnissen.

Sprache wird _nicht_ von Schriftstellern und Dichtern kreiert¹, 
sondern bestenfalls in exponierter Weise beeinflusst. Vielmehr ist 
Sprachentwicklung ein stetig fortschreitender Prozess in dem sich die 
gesellschaftliche Entwicklung wiederspiegelt. Bedeutungsverengung 
oder -Erweiterung oder sogar Begriffsumwidmung sind in diesem 
Zusammenhang normale Prozesse die die Sprachdiversifizierung  
überhaupt erst ermöglichen. Die Betrachtung von Wortstämmen ist hier 
zwar Entwicklungsgeschichtlich interessant, die Gleichsetzung von 
Worten gleichen Ursprungs ist jedoch völlig falsch, da die o.g. 
Mechanismen (die durch Dichtung manchmal mehr forciert als gebremst 
werden) zu einer Änderung der Wortbedeutung in verschiedene 
Richtungen führen können.

Besonders interessant ist übrigends das von dir angeführte Beispiel 
Wall/wall. Beide haben in der Tat den gleichen lateinischen Ursprung, 
nämlich vallum, -i (neutrum !!). Gemeint war damit zunächst eine aus 
senkrecht in den Boden geschlagenen Pfählen (lat. vallus, -i, m), 
also einer Pallisade, errichtete Verteidigungsanlage. Später wurden 
solche Anlagen dadurch verstärkt, dass die Pallisade auf einem 
Erdwall errichtet wurde.
Während die Entwicklung des deutschen Wortes "Wall" sich auf den 
Erdwall bezog, leitet sich das englische "wall" von der Pallisade ab, 
was die unterschiedliche Verwendung und Wortbedeutung trotz des 
gleichen Ursprungs erklärt.

> Es gibt immer wieder Gegensätze zwischen
> denen gibt, die kreativ mit der Sprache umgehen und sorgsam wie den
> größten Schatz pflegen und Anderen. Dabei ziehen Schriftsteller und
> Dichter wie Karl Kraus in der Regel den Kürzeren.

Wenn mit sorgsamer Pflege der Versuch der Konservierung oder gar 
Rückentwicklung gemeint ist steht der Sprachfreund in der Tat auf 
verlorenem Posten. Meine Kinder haben im Verlauf des Sprechenlernens 
einige neue Worte kreiert, die wir in unserer Familie nach wie vor 
verwenden. In den Integrationsbrennpunkten entstehen durch die 
Vermischung von Sprachen neue Sprachelemente. Dies sind Beispiele für 
die unaufhaltsame Sprachentwicklung - man kann sie begrüßen oder 
ablehnen, aber unterbinden kann man sie nicht. 
Selbstverständlich hast du Recht, dass bei der Rechtschreibreform eine 
äußere Logik der inneren Logik der Sprache vorgezogen wurde - dies 
wurde ja auch unlängst von den Machern dieser Reform eingestanden - 
ich verstehe jedoch nicht warum du dich wenn du ersteres kritisierst 
anschließend auf eine wissenschaftliche und entwicklungsgeschichtiche 
Position zurückziehst anstatt die Sprache der Gegenwart in ihrer 
inneren Logik (und dazu gehört auch die Gebenheit von 
Wortbedeutungen) zu aktzeptieren.

> So führt mich die innere
> Logik über den gemeinsamen Ursprung zur direktesten semantisch
> korrekten Übersetzung, die Feuerwall lautet. 

s.o. Der gemeinsame Ursprung erklärt in diesem Fall geradezu warum 
engl.wall nicht mit dem deutschen Wall zu übersetzen ist.

> Die Unkenntnis des 
> Wortes Feuerwall scheint die Ursache für den falschen Gebrauch der
> Mehrheit -- und wiederholend:  der Begriff wurde auch als "der
> Firewall" in die Fachsprache eingeführt (meines Wissens durch
> Microsoft); erst danach war eine Geschlechtsumwandlung zu
> beobachten.

Nein! Der Begriff wurde als "the firewall" in die Fachsprache 
eingeführt, und (ohne das belegen zu können) bestimmt nicht von 
Microsoft, die sich sehr lange überhaupt keine Gedanken über 
Internetsicherheit gemacht haben. Wie auch immer hat sich sehr 
weitgehend der Begriff "die Firewall" für die Verwendung im deutschen 
durchgesetzt und letztlich entscheidet der Volksmund was in einer 
Sprache richtig oder falsch ist, auch wenns im Einzelfall dauert. 
Sprache wird von denen gemacht die sie sprechen, nicht von denen die 
sie deuten.

¹ mit Ausnahme von Kunstsprachen natürlich; J.R.R. Tolkien, der 
Schriftsteller, Dichter und Wissenschaftler zugleich war, hat gleich 
einige erschaffen, dabei jedoch z.T. Elemente vorhandener Sprachen 
verwendet.
-- 
Gruß Frank



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