[Date Prev][Date Next] [Thread Prev][Thread Next] [Date Index] [Thread Index]

Re: [OT] Sprachentwicklung



On Tuesday 04 April 2006 16:23, Frank Evers wrote:
> Auch als PM wie vom Vorautor gewünscht
>
> Am Dienstag, 4. April 2006 13:50 schrieb Gerhard Wolfstieg:
> > Einspruch, nein! Zwei Sachen vorweg, bevor ich mich hier nicht mehr
> > dazu äußere (höchsten noch als PM): wall und Wall haben den gleich
> > Ursprung im Lateinischen. Ein endgültiges Urteil akzteptiere ich
> > von einem Schriftsteller und Dichter, nicht von einem
> > Wissenschaftler und wissenschaftlichen Erzeugnissen.
>
> Sprache wird _nicht_ von Schriftstellern und Dichtern kreiert¹,
> sondern bestenfalls in exponierter Weise beeinflusst. Vielmehr ist
> Sprachentwicklung ein stetig fortschreitender Prozess in dem sich die
> gesellschaftliche Entwicklung wiederspiegelt. Bedeutungsverengung
> oder -Erweiterung oder sogar Begriffsumwidmung sind in diesem
> Zusammenhang normale Prozesse die die Sprachdiversifizierung
> überhaupt erst ermöglichen. Die Betrachtung von Wortstämmen ist hier
> zwar Entwicklungsgeschichtlich interessant, die Gleichsetzung von
> Worten gleichen Ursprungs ist jedoch völlig falsch, da die o.g.
> Mechanismen (die durch Dichtung manchmal mehr forciert als gebremst
> werden) zu einer Änderung der Wortbedeutung in verschiedene
> Richtungen führen können.
>
Hmm. Ich glaube nicht, dass es hier um direkte Änderungen geht, sondern im 
Gegenteil um Übernahmen, die eben nicht oder kaum verändert wurden

> Besonders interessant ist übrigends das von dir angeführte Beispiel
> Wall/wall. Beide haben in der Tat den gleichen lateinischen Ursprung,
> nämlich vallum, -i (neutrum !!). Gemeint war damit zunächst eine aus
> senkrecht in den Boden geschlagenen Pfählen (lat. vallus, -i, m),
> also einer Pallisade, errichtete Verteidigungsanlage. Später wurden
> solche Anlagen dadurch verstärkt, dass die Pallisade auf einem
> Erdwall errichtet wurde.
> Während die Entwicklung des deutschen Wortes "Wall" sich auf den
> Erdwall bezog, leitet sich das englische "wall" von der Pallisade ab,
> was die unterschiedliche Verwendung und Wortbedeutung trotz des
> gleichen Ursprungs erklärt.
>
Das ist doch keine unterschiedliche Wortbedeutung - vallum ist ein 
Kollektivum für vallus, i.e. Schutzwehr. Ein vallus ist ein Schutzwall, 
der konkret aus Pallisaden besteht, ein Schutzwall kann aber auch aus Erde 
und div. anderem bestehen -->  daher das Neutrum von vallum, da Neutrum ja 
immer für Kollektivismen verwendet wird. Die Semantik bleibt in beiden 
Fällen aber gleich. 

> > Es gibt immer wieder Gegensätze zwischen
> > denen gibt, die kreativ mit der Sprache umgehen und sorgsam wie den
> > größten Schatz pflegen und Anderen. Dabei ziehen Schriftsteller und
> > Dichter wie Karl Kraus in der Regel den Kürzeren.
>
Das hat in dieser Frage aber nichts zu sagen. Ob wissenschaftlich, 
umgangssprchlich oder dichterisch - bei Wortübernahmen aus toten Sprachen 
wird das Genus des Ursprungs immer beibehalten. Nehmen wir als Beispiel 
die Summe von lat. summa, ae, f - kein Mensch käme im Traum auf die Idee, 
hier das Genus zu ändern. Das Wort selbst kann also 
Erweiterungen/Umdeutungen, sei es auf dichterischen, wissenschaftlichen 
oder umgangssprachlichen Wegen, das spielt hier keine Rolle, unterliegen, 
doch das Genus wird immer Feminimum bleiben.
Also kann man bei Firewall streiten, ob Neutrum oder Maskulinum zu wählen 
ist (Neutrum könnte man mit Kollektivum für HW und SW-Firewalls 
rechtfertigen), bei einem Femininum muss man aber schon zu Umwegen wie 
murus/moenia -> Mauer greifen - das ist aber eben der Punkt: moenia ist 
wieder kollektiv, deshalb Neutrum Plural, wer Mauer als etwas konkretes 
bezeichnen will, der hat einen Grund, hier das Genus zu missachten. Bei 
Wall ist die Abstammung aber so direkt gegeben, dass man am Maskulinum 
IMHO nicht vorbeikommt. Dass das ein Kampf gegen Windmühlen ist, sehe ich 
im Großen und Ganzen auch so, deswegen ist es aber nicht falsch.

> Wenn mit sorgsamer Pflege der Versuch der Konservierung oder gar
> Rückentwicklung gemeint ist steht der Sprachfreund in der Tat auf
> verlorenem Posten. Meine Kinder haben im Verlauf des Sprechenlernens
> einige neue Worte kreiert, die wir in unserer Familie nach wie vor
> verwenden. In den Integrationsbrennpunkten entstehen durch die
> Vermischung von Sprachen neue Sprachelemente. Dies sind Beispiele für
> die unaufhaltsame Sprachentwicklung - man kann sie begrüßen oder
> ablehnen, aber unterbinden kann man sie nicht.

Klar, so geht das, seit es Sprache, oder sagen wir, die babylonische 
Sprachverwirrung ;-) gibt. Deswegen meinen ja auch manche Mediaevisten 
oder sogar Altphilologen, dass die Kirchenväter (Augustinus: "besser, die 
Grammatiker tadeln uns, als dass die Leute uns nicht verstehen"; Gregor 
der Große hat eine dezidierte Antigrammatik verfasst) und die Kleriker im 
Mittelalter das Fundament für ein Fortleben des Lateinischen gelegt haben, 
dem die Renaissance, also z.B. Laurentius Valla in seinem Nachweis, dass 
die Konstantinische Schenkung eine Fälschung ist, mit ihrer Fixierung auf 
Cicero und klassisches Latein dieser kontinuierlichen Weiterentwicklung 
das Genick gebrochen haben. Das war echter Degout von Sprachpuristen, als 
Resultat ist Latein zwar die Kultursprache schlechthin - aber eben tot. 
> [...]
>
> > So führt mich die innere
> > Logik über den gemeinsamen Ursprung zur direktesten semantisch
> > korrekten Übersetzung, die Feuerwall lautet.
>
> s.o. Der gemeinsame Ursprung erklärt in diesem Fall geradezu warum
> engl.wall nicht mit dem deutschen Wall zu übersetzen ist.
>
Das glaube ich nicht. IMHO sind vallum und vallus semantisch nicht 
verschieden, das Neutrum erklärt sich, s.o. aus der Kollektivierung.
Gruß gebhard



Reply to: