Re: Debian oder Ubuntu
Hallo, Amir...
Du schneidest ein Thema mit viel religiösem Potential an. :)
On Wednesday 23 November 2005 21:45, Amir Tabatabaei wrote:
> ich bin nun seit 3 Jahren ein zufriedener Debian-Benutzer und habe im
> Laufe der Zeit diese Distribution sehr lieben und schätzen gelernt.
> Ich verwende sie sowohl privat (SID) als auch auf der Arbeit(SARGE).
> Seit dem jedoch Ubuntu erschienen ist, musste ich immer wieder Sachen
> erleben, die es vorher so nicht gegeben hat. So haben z.B. viele
> Entwickler ihre bis dahin debianisierten Packete nur noch für Ubuntu
> angeboten, die leider gar nicht oder nur mit Schwierigkeiten auf einem
> "echten" Debian-System liefen.
Ich würde mal behaupten, "viele Entwickler" ist relativ. Es gibt um viele
Dimensionen mehr Entwickler in Debian als in Ubuntu. Der Ubuntu-Gründer
hat zwar Geld wie Heu, aber hat nur eine Handvoll Leute auf der Lohnliste.
Das Geld würde für ein paar Tausend Paketbetreuer nicht reichen. Das ist
auch nicht anders gewollt. Ubuntu basiert auf Debian. Manche Pakete werden
zwar besonders behandelt, gepatcht oder angepasst. Und mit dem "Launchpad"
hat Ubuntu nette Möglichkeiten geschaffen, z.B. die Übersetzungen
voranzutreiben. Alles in allem würde es aber Ubuntu ohne Debian nicht
geben. In Ubuntu gibt es nicht genug Manpower, um alle Debian-Pakete zu
betreuen. Der Hauptvorteil von Ubuntu ist die schöne Grundkonfiguration
für Endanwender. Mein Schwiegervater würde Hoary bestimmt installiert
bekommen - Sarge aber sicher nicht.
Ubuntu hat z.B. eine Arbeit zum Thema "Usability" machen lassen. Da haben
Anwender bewerten müssen, was positiv oder negativ auffällt. Und da ging
es um Kleinigkeiten, wie dass die Boot-Meldungen technisches Kauderwelsch
sind und der "nix hören - nix sehen"-Bootscreen von Windows viel
angenehmer wäre. Das ist eine andere Ebene. Ich will die Boot-Meldungen
sehen. :)
> Die Ubuntu Distribution wird meines
> Erachtens nun auch viel aktiver weiterentwickelt als Debian selbst.
Woran machst du das fest? Siehe Anzahl Entwickler. Bei Ubuntu ist mehr Geld
im Spiel, weshalb es kostenlose Installations-CDs und mehr Marketing gibt.
Unterschätze Debian nicht.
> Ich habe vor ein paar Tagen mit einem Debian Developer geredet, der für
> die Gnome-Pakete verantwortlich ist. Er sagte, dass es wohl ein wenig
> dauern könnte, bis Gnome2.12 von experimental nach unstable fließt.
> In Ubuntu ist Gnome2.12 nun seit geraumer Zeit im Einsatz.
Ubuntu ist aktueller, ja. Das liegt schon an den festgelegten
Release-Zyklen von einem halben Jahr. Wenn ich aber in einem Unternehmen
Linux-Desktops pflegen müsste, hätte ich keine Lust, alle halbe Jahr
wieder von vorne mit dem Testen anzufangen. Insofern setzt Debian mehr auf
Stabilität. Dem Anwender in der Firma ist es völlig egal, ob er die
neueste Version hat. Er muss mit OpenOffice seine Dokumente bearbeiten
können, er muss auf seine Mails zugreifen und im Internet surfen.
> (Ich möchte
> bitte hier KEINE Diskussion über Ubuntu oder Debian und deren
> [politische-] Entwicklung starten)
Ich sehe das ganze entspannt. :)
> Ich möchte lediglich um einen Rat
> bitten, ob ich (nur auf meinem Desktop Zuhause) Debian durch Ubuntu
> ersetzen sollte und ob es irgendwelche Nachteile geben könnte. Vielen
> Dank für jeden Tip.
Mein persönlicher Tipp: wenn Du genügend Kenntnisse hast, dass Du Dein
Debian-System beherrscht und nicht umgekehrt, dann bleib bei Debian.
Ubuntu hat praktisch dieselben Pakete und die ganze schöne
Paket-Infrastruktur (z.b. APT) ist bei Ubuntu dieselbe. Ich habe in
Ubuntu-Releases bisher mehr eklige Bugs gefunden als bei Debian. Und ich
habe das Gefühl, künstlich dumm gehalten zu werden, weil mir 90% meiner
Menüeinträge fehlen. Das ist natürlich ganz bewusst so, weil sich die
Distribution eher an weniger technisch versierte Endanwender richtet, die
nicht gleich von zehnfach belegten Sondertasten erschlagen werden sollen.
Und mein Schwiegervater ist glücklich damit. :)
Wenn ich Windows-Absteiger vor mir habe, drücke ich denen meistens trotzdem
Kubuntu (ich finde KDE etwas angenehmer als Gnome) in die Hand. Die
Installation läuft automatischer, USB-Sticks werden automatisch
eingebunden etc.
Ich habe selbst einige Monate bei Ubuntu mitgeholfen. Und trotzdem
verbringe ich meine Zeit lieber im Debian-Projekt. Ich würde mir einfach
wünschen, dass sich beide Läger ergänzen und daraus kein religiöser Streit
wird. Die Diskussion "jetzt gibt es Ubuntu - damit ist Debian so gut wie
tot" gab es ganz am Anfang mal und ist mittlerweile eher ein Thema für das
Heise-Forum. Und vom Ubuntu-Lager habe ich nicht das Gefühl, dass die sich
gegenüber Debian verschließen. Auf beiden Seiten gibt es aber jede Menge
Innovation. Bei Debian vielleicht eher aufgrund der Anzahl beteiligter
Entwickler - bei Ubuntu vielleicht eher aufgrund von Geld und damit
konstanter Arbeitsleistung.
Ubuntu bringt vielen Anwendern eine Gnu/Linux-Distribution näher, die sich
bislang nicht rangetraut hätten. Und das finde ich erst einmal sehr
positiv. So gesehen hätte ich eher ein Posting erwartet mit dem Thema:
"Ich habe jetzt ein Jahr lang Ubuntu benutzt. Macht es Sinn, dass ich mir
mal Debian ansehe?" ;)
Gruß,
Christoph
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